elevatr: Raphael Gielgen, wie beschreiben Sie die aktuelle Transformation der Arbeitswelt?
Raphael Gielgen: Ich vergleiche die Transformation mit dem Übergang von einem Aggregatzustand in einen anderen. Arbeit hat seit der Pandemie die feste Verbindung zu einem geographischen Punkt verloren, hat sich vom Kontext der Geographie gelöst. Wir betreten dadurch das Zeitalter von Remote first.
Was bedeutet das?
Remote first gibt den Unternehmen eine Art der Elastizität, die ihnen erlaubt, mit den großen Veränderungen umzugehen. Wie zum Beispiel mit dem Umstand, dass wir in Deutschland aktuell 1,7 Millionen offene Stellen nicht besetzen können. Remote first führt dazu, dass ein Unternehmer in Hamburg auch Menschen, die in Portugal, Warschau oder Prag wohnen, einstellen kann. Der Arbeitsmarkt ist die Zeitzone.
Gibt es weitere „Mega-Changes“?
Die zweite größte Veränderung bezieht sich auf das, woran wir arbeiten: In Think Tanks gehen wir davon aus, dass wir in wenigen Jahren rund 50 Prozent aller Umsätze aus Produkten und Services generieren, die es jetzt noch gar nicht gibt. Wir betreten das Zeitalter der Erneuerung. Diese neuen Produkte und Services sind der Anfang eines neuen Wirtschaftssystems.
„Verbundenheit und Zusammenhalt sind starke Potenziale.“
Die Hospitality ist eine Branche mit besonderen Arbeitszeiten und -orten. Welche Chancen und Potenziale eröffnen sich dadurch?
In der Hotellerie ist die Arbeit größtenteils ortsgebunden. Durch die räumliche Nähe und Art des Arbeitens entstehen Verbundenheit und Zusammenhalt, das sind starke Potenziale. Wenn ich im Vitra Headquarter in Weil am Rhein bin, wohne ich in einem familiengeführten Hotel, 30 bis 40 Tage im Jahr. Das ist wie eine Ersatzfamilie, ein eigenes Ökosystem, ein kuratierter Ort, an dem man nichts dem Zufall überlässt. Ein Hotelaufenthalt ist ein immersives Erlebnis. Es gibt Hotels, die es sehr gut verstehen, dieses Erlebnis auf eine Weise zu gestalten, dass man berührt ist.
Was macht Hotels in Zukunft erfolgreich?
Genau das: Authentizität und Erlebnis. Hotels bieten sich als Orte für Events wie kulturelle Formate an. Damit kann sich das Hotel als guter Nachbar oder Stadtbewohner positionieren. Wie gesagt, erfolgreich werden aus meiner Sicht in Zukunft vor allem Hotels mit einer Intendanz sein, die um ein Narrativ herum alles stringent kuratiert. Das ist auch die aus meiner Sicht größte Herausforderung für die Hospitality, dieses individuelle Narrativ authentisch zu gestalten und lesbar zu machen – und zugleich auch das größte Potenzial.
Interview: Anja Eigen
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Raphael Gielgen ist Trendscout Future of Work Life & Learn. Für das Schweizer Unternehmen Vitra, das sich auf die Herstellung und den Handel mit Wohn- und Büromöbeln spezialisiert hat, bereist er die Welt auf der Suche nach innovativen Orten und Mustern, die die Arbeitswelt von morgen prägen.