Prof. Dr. Celine Chang hat gemeinsam mit Prof. Dr. Simon Werther und Prof. Dr. Markus Pillmayer an der Hochschule München die Forschungsgruppe 'New Work – die neue Realität? Leadership und Human Resources Management in digitalisierten Arbeitswelten: Innovationsbedarf und Handlungsstrategien für die Dienstleistungsbranche' gegründet. Über New Work wird im Human Resources Management seit Jahren viel gesprochen. Der Begriff geht auf den Philosophen Frithjof H. Bergmann zurück und bezeichnet eine Arbeitswelt, die von den Werten Freiheit, Sinnorientierung und Partizipation geprägt ist.
elevatr: Was ist die Motivation für Forschung auf diesem Gebiet, Prof. Dr. Chang?
Prof. Dr. Celine Chang: Im Zentrum unserer Forschung steht die Frage, was New Work ganz konkret für die Dienstleistungsbranche mit besonderem Fokus auf den Tourismus bedeutet. Die Arbeitswelten verändern sich dramatisch. Die vielen kleinen und mittleren Betriebe unserer Branche stehen aufgrund besonderer Anforderungen an Präsenzarbeit und hoher Servicequalität bei der Gestaltung moderner Arbeitswelten vor ganz besonderen Herausforderungen. Was bedeutet New Work für die Führung? Was für Anforderungen ergeben sich für die Mitarbeitenden in der Dienstleistungsbranche? Was muss das Management tun, um die Mitarbeitenden mitzunehmen? Diese Fragestellungen möchten wir zusammenführen und ein Modell für den Tourismus entwickeln.
Wie kann die Hospitality Branche von New Work profitieren?
New Work umfasst viele Aspekte wie agiles Arbeiten, Digitalisierung, Partizipation. Wir sehen, dass sich Werte verändern, dass sich Führung verändert, dass sich Strukturen verändern. Aber es wurde noch nie wirklich erforscht. Unser Ziel ist es, Licht ins Dunkel zu bringen, zu untersuchen, welche Potenziale beispielsweise auch durch Substituierung von Aufgaben in der Hotellerie entstehen. Um ein Beispiel zu nennen: Wie verändern sich die Aufgaben eines Front Office Managers, wenn beim Check-in der rein administrative Vorgang automatisiert wird. Werden sie anspruchsvoller? Wir reden von sich verändernden Arbeitswelten. Aber wie kann ein Hotelier sein familiengeführtes Haus ganz konkret nach vorne bringen? Wir betreiben angewandte Forschung, in enger Zusammenarbeit mit Partnern aus der Praxis, um für die Branche niederschwellige Instrumente zu entwickeln.
Welche New Work-Prinzipien können Sie in der Hospitality Branche bereits beobachten?
Es gibt bereits erfolgreiche Umsetzungsbeispiele, etwa wenn die Mitarbeitenden die Führungskräfte aus den eigenen Reihen wählen oder wenn ein Rotationsprinzip zum Tragen kommt, bei dem immer wieder jemand anders die Führung übernimmt. Es kommt natürlich darauf an, welchen Aspekt von New Work man betrachtet. Das ist ein weiter Begriff. Manche Unternehmen unserer Branche sind weit, was die Digitalisierung betrifft. Dann gibt es Betriebe, die ganz klare Antworten auf den Wertewandel haben, dann wieder Betriebe, die sehr mitarbeiterorientierte Rahmenbedingungen schaffen oder Unternehmen, die auf den demografischen Wandel reagieren und zum Beispiel gezielt ältere Mitarbeitende rekrutieren.
Dennoch entsteht der Eindruck, die Hospitality tue sich mit der Transformation von Arbeitswelten im Vergleich mit anderen Branchen schwer? Was ist der Grund hierfür?
Ich glaube, da gibt es viele Faktoren. Ein Grund ist sicher, dass die Hospitality Branche ein wenig wie ein geschlossenes System funktioniert, in dem man tendenziell wenig Einflüsse von außen aufnehmen will. Dann haben wir es oft immer noch mit sehr klassischen Führungsstrukturen zu tun, mit starken Hierarchien und einer oft nicht so strategisch aufgestellten Personalarbeit. Es wird sehr viel operativ gearbeitet. Wenn man im Hamsterrad ist, fallen einem keine neuen Sachen ein, das kennt jeder doch auch von sich. Das ist ja die Herausforderung der Branche, gerade jetzt! Jetzt versuchen alle, das Geschäft wieder zum Laufen zu bringen und arbeiten wie verrückt. Zu wenige stellen sich dabei gerade die wichtige Frage „Wie gehen wir eigentlich in die Zukunft? Wie schaffen wir es, wettbewerbsfähig zu bleiben und auch weiterhin erfolgreich zu sein?“
„Ich glaube, dass wir mit der Einführung von New Work auch als Branche attraktiver werden können.“
Sie nehmen die Forschung zum Thema ja gerade erst auf: Was ist aus Ihrer heutigen Sicht das größte Potenzial von New Work in der Hospitality?
Ich glaube, dass wir mit der Einführung von New Work auch als Branche attraktiver werden können. Wir brauchen flexiblere Arbeitsstrukturen, flexible Arbeitszeitmodelle, eine neue Art der Führung mit mehr Raum für Partizipation, Verantwortung, Empowerment. Daraus ergibt sich Sinn für die Mitarbeitenden. Dass Menschen unsere Branche verlassen, liegt nicht nur an den Rahmenbedingungen, sondern auch an kulturellen Faktoren. Ich bin fest überzeugt, dass man mit Kulturarbeit punkten kann, dass damit die Branche attraktiver wird und vielleicht auch effizienter. Und vielleicht kann man an der einen oder anderen Stelle auch den Fachkräftemangel etwas abfedern. Aber wenn man zum Beispiel einfache Aufgaben substituiert, also digitalisieren kann, dann werden die Rollen auch spannender, anspruchsvoller und kreativer.
Dann würde sich dadurch nicht nur die Kultur im Unternehmen verändern, sondern auch Berufsbilder?
Man könnte sich mehr auf die Gastgeber-Rolle konzentrieren. Diese wird nie digital abbildbar sein. Ich finde es faszinierend, dass die Hotellerie und Gastronomie den Gästen in Zeiten von Corona jetzt etwas geben kann, was sie so lange vermisst haben. Das lässt sich nicht ersetzen.
Das sind nun viele Chancen von New Work. Aber wo könnten auch Grenzen sein?
Ich glaub tatsächlich, dass da ein großer Beratungsbedarf besteht, wie man die einzelnen Aspekte von New Work umsetzen kann. Es ist ein großes Feld und es gibt nicht ein Schema für alle Unternehmen. Da muss man natürlich sehr individuell schauen, was man umsetzen kann. Ich habe ein Interview mit Fritjof Bergmann gelesen, das er kurz vor seinem Tod geführt hat. In dem Interview hat er selbst gesagt, dass sein Verständnis von New Work sehr radikal sei, vielleicht zu radikal für eine 1:1-Umsetzung. Es sind auch nur wenige Unternehmen, die in Deutschland New Work in Gänze umsetzen. Aber wenn wir es ein bisschen weitgefasster betrachten, im Sinne von Transformationsprozessen, die wir in der Arbeitswelt gerade sehen, dann wird sich jedes Unternehmen im Tourismus früher oder später die Frage stellen „Wie kann ich mich so aufstellen, dass ich überhaupt noch passende Mitarbeiter bekomme?“. Ich glaube, dass der Fachkräftemangel tatsächlich ein Treiber für den Wandel sein wird.
Wie ist Ihr Forschungsnetzwerk zustande gekommen?
Wir haben in Bayern durch die High-Tech-Agenda die Möglichkeit und Mittel, mehr Forschung zu betreiben. Die Hightech-Agenda hat zum Ziel, den Mittelstand und Digitalisierung und KI in Unternehmen zu unterstützen. Unsere Fakultät für Tourismus sowie die Hochschule München haben das Potenzial erkannt, dass wir innovative Lösungen für Herausforderungen in der regionalen und überregionalen Wirtschaft entwickeln können. Und wir sind offen für Kooperationspartner. Wir können nur gute angewandte Forschung betreiben, wenn wir eng mit der Branche zusammenarbeiten.
„Mit Kulturarbeit können Arbeitgeber punkten.“
Was ist Ihr Mutmacher in puncto New Work für die Hotellerie?
Mein Mutmacher ist, dass New Work einen Beitrag zu einer höheren Arbeitgeberattraktivität leisten kann und dass sich auch in der Hotellerie und Gastronomie mit ihren besonderen Anforderungen an Präsenz und Arbeitszeiten sehr viele Aspekte sehr gut implementieren lassen.
Mit welchen Schritten können sich Hospitality-Betriebe dem Thema behutsam nähern?
Zunächst ist es wichtig, die Mitarbeitenden einbeziehen, sie zu befragen, was ihre Bedürfnisse, Ideen, Wünsche und auch ihre Einschätzung hinsichtlich eines Changes sind. So werden sie die Veränderungen auch mittragen, sich daran beteiligen. Dann ist sicherlich der Austausch mit anderen Arbeitgebern hilfreich. Hier lässt sich viel von der Erfahrung anderer lernen. Und man sollte sich nicht scheuen, sich beim Transformationsprozess gegebenenfalls beraten zu lassen.
Anja Eigen