elevatr: Christian Henzler, im Kontext von HR und Leadership stößt man immer häufiger auf den Begriff der psychologischen Sicherheit. Was genau beinhaltet das Konzept?
Christian Henzler: Der Begriff geht auf die Harvard-Professorin Amy Edmonson zurück, die bereits in den 1990er-Jahren Inhalte zu diesem Thema veröffentlicht hat. In den vergangenen drei Jahren ist das Thema stärker in den Fokus gerückt. Kurz zusammengefasst geht es darum, dass Unternehmen erfolgreicher sind, wenn sich die Mitarbeitenden sicher fühlen. Es geht nicht nur um Kompetenz. Psychologische Sicherheit ist ein zentraler Aspekt der Unternehmenskultur und ein wesentlicher Bindungs-Faktor. In den aktuellen Zeiten des Arbeitskräftemangels gewinnt das Thema somit an Bedeutung.
„In einem sicheren Umfeld werden Fehler zugelassen und als Elemente einer Lernkultur betrachtet.“
Was sind Merkmale der psychologischen Sicherheit?
Das Team weiß, dass es keinen zwischenmenschlichen Risiken ausgesetzt ist. Fehler werden zugelassen und als Elemente einer Lernkultur betrachtet. Es umfasst das bewusste Eingehen von Risiken. Es geht um den Mut, einander um Hilfe bitten zu können, über alle Hierarchieebenen hinweg und in alle Richtungen. Wenn die individuellen Fähigkeiten und Talente des Einzelnen erkannt werden und Mitarbeitende entsprechend eingesetzt werden, entsteht psychologische Sicherheit. In einem sicheren Umfeld besteht ein tiefes Verständnis darüber, dass wir alle unterschiedlich denken, fühlen und handeln. Diese Diversität wird als Wert gesehen.
Früher hat man einfach von Vertrauenskultur gesprochen …
Ja. Bei dem Konzept der psychologischen Sicherheit geht es nun darum, von der individuellen Ebene, auf der Vertrauen entsteht, den Blick auf die Organisation zu werfen. Psychologische Sicherheit wird aktiv gestaltet.
„Feedback im Beruf ist ein Geschenk, weil es hilft, blinde Flecken zu erkennen.“
Wie können Unternehmen psychologische Sicherheit fördern?
Eine ausgeprägte Feedbackkultur ist aus meiner Sicht das wichtigste Element. Es geht darum, das gegenseitige Feedback zur Routine werden zu lassen. Denn Feedback öffnet Türen im Miteinander und schafft Verständnis. Je öfter Feedback stattfindet, desto geübter und freier werden die Teams darin. Viele scheuen sich davor, Feedback zu geben. Dahinter steht die Angst, Beziehungen zu beschädigen. Hier gilt es zu reframen: Feedback ist ein Geschenk, weil es hilft, blinde Flecken zu erkennen. Wer hatte nicht schonmal das Gefühl, dass jemand sauer ist, aber nichts sagt. In einer Feedbackkultur weiß ich, dass Themen offen angesprochen und geklärt werden können.
Gibt es noch weitere Faktoren?
Raum für Selbstwirksamkeit zu geben, ist ein zentraler Faktor. Ich habe als Führungskraft regelmäßig die Übung „Mach mich besser“ durchgeführt. Hier saßen wir zu sechst an einem Tisch und jeder spricht zehn Minuten über seine aktuelle Herausforderung. Die anderen fünf Teilnehmenden stellen dazu Fragen oder bieten einen Perspektivwechsel an, so dass jeder damit selbst zu einer Lösung kommt. So entsteht Vertrauen, Offenheit und auch Verbindung. Auch ein Leitbild schafft Orientierung und damit Sicherheit. Von einem Arbeitgeber habe ich gehört, dass das HR-Büro 24/7 erreichbar ist. Das zahlt auch auf das Konto ein, ebenso wie Teamaktivitäten. Die müssen gar nicht immer besonders aufwändig sein, es kann der Feierabend-Drink sein.
Wie kann ich als Arbeitgeber herausfinden, ob ich genug psychologische Sicherheit biete? Gibt es Indikatoren?
Wir führen im Auftrag unserer Kunden Umfragen durch, um Aspekte der psychologischen Sicherheit abzufragen. Ein Indikator ist auch die Innovationsfähigkeit des Teams: Wo kaum Innovation entsteht, ist wenig Mut vorhanden, auch mal Risiken einzugehen. Wie steht es um die Meeting-Kultur? Sind die Meetings rein fachlich oder bieten sie auch Raum für den persönlichen Austausch? Kann ich mir aktiv ein Feedback bei der Führungskraft einholen? Wie ist der Umgang mit Fehlern? Wird nach dem Schuldigen gesucht? Hier genau hinzusehen, kann wertvolle Hinweise liefern, wie es um die psychologische Sicherheit im Team und Unternehmen bestellt ist.
Interview: Anja Eigen
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Christian Henzler begleitet und berät mittelständische Unternehmen als Coach, Trainer und Berater vor allem in den Bereichen Employer Branding, Leadership sowie in der Gestaltung von HR-Strategien, -Prozessen und Unternehmenskulturen. Christian Henzler war 20 Jahre in verschiedenen Funktionen für familiengeführte Individualhotels sowie deutsche und internationale Hotelkonzerne tätig, davon 15 Jahre in Führungspositionen.