
„Es ist die Arbeitswelt, in der sich die entscheidenden Verhaltensweisen herausbilden, mit denen wir uns mit der Welt auseinandersetzen“, sagt Hans Rusinek. Der 35-jährige Ökonom und Unternehmensberater forscht an der Universität St. Gallen zum Wandel der Arbeit und ihrer Rolle in modernen Organisationen. Zeitgleich hat er einen Lehrauftrag mit dem Titel „Future of Work“ an der Fresenius Universität in Hamburg inne und ist Fellow im Thinktank 30 des Club of Rome. Bis 2020 war der upnxt24-Speaker Associate Strategy Director und erster Mitarbeiter der Purpose-Beratung innerhalb der Boston Consulting Group, Bright House.
Auszug aus unserer „elevatrEdition 6“, Aritikelveröffentlichung 2024
Hans Rusinek, alle sprechen von Work-Life- Balance. Sie sagen, das reiche nicht mehr aus – warum?
Hans Rusinek: Ich bin viel in diesen Diskursen unter wegs, wo es um die Zukunft der Arbeit geht. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich mich oft wie in einem Tabu- Spiel fühle, in dem eine Sache niemals erwähnt werden darf – und das ist die Zukunft des Planeten. Und die Grenzen, die wir an unsere Arbeit anlegen müssen, wenn wir auf diesem Planeten sinnvoll arbeiten wollen. Zudem hat mich der Begriff Work-Life-Balance schon immer gestört, weil er suggeriert, dass das Leben außerhalb der Arbeit stattfindet. Wir müssen die Zukunft unseres Planeten und der Arbeit aber zusammen denken.
→ In seinem zuletzt erschienenen Buch „Work-Survive-Balance. Warum die Zukunft der Arbeit die Zukunft unserer Erde ist“ erläutert Rusinek, wie uns dieser Change gelingen kann. Er schreibt:
Welch ein Glück, dass sich doch so viele Menschen mit der Zukunft der Arbeit beschäftigen. So viele Berater, Managerinnen und Populärphilosophen, die sich mit dem Begriff eine Bühne schaffen. Doch auf diesen Bühnen geht es nie um die planetare Voraussetzung für eine jegliche Zukunft eines jeglichen Arbeitens. Das wahre Problem ist nämlich nicht, dass die Zukunft der Arbeit irgendwie anders sein wird – mit mehr Workations, Metaverse oder AI. Das wahre Problem ist, dass wir dabei verpassen, uns an eine Zukunft der Arbeit zu machen, die unsere Zukunft auf diesem Planeten mitmeint.
Deswegen bleiben wir in zwei Gruppen gespalten: Die New-Work-Apostel lenken mit Geklimper davon ab, dass es für zukunftsfähige Arbeit eine planetare Basis braucht. Klimaaktivistinnen gehen freitags auf die Straße, aber übersehen, womit wir die restliche Woche verbringen. Und welche Chance darin steckt. Wenn wir so viel Zeit auf der Arbeit verbringen, dann sollten wir diese auch als Reallabor für eine enkeltaugliche Zukunft betrachten. Dort liegt das Potenzial für Weltbezug, Wirksamkeit und Zusammenwachsen, und damit die Voraussetzung für eine lernende, nicht-traumatisierende und gemeinschaftliche Bewältigung der Klimakrise, jenseits des Zwangs. Die Zukunft der Arbeit wird die Arbeit an der Zukunft.
„Wenn wir so viel Zeit auf der Arbeit verbringen, dann sollten wir diese auch als Reallabor für eine enkeltaugliche Zukunft betrachten.“
Wenn die Lösung für eine enkeltaugliche Zukunft im Arbeitsumfeld liegt – warum haben wir nicht längst einen Change of Work angestoßen?
Weil wir viel zu busy sind, um Zeit zum Umdenken zu haben – wir alle arbeiten unglaublich gehetzt. Beispielsweise werden wir in Deutschland statistisch gesehen alle viereinhalb Minuten bei der Arbeit unterbrochen. Wir brauchen aber neun Minuten, um wieder zu einem tieferen Gedanken zurückzukommen. Das geht schon rein rechnerisch nicht gut auf. Diese Gehetztheit – die wir als „Busyness“ ganz nebenbei auch noch Glorifizieren – hält uns auch davon ab, Verantwortungs- fragen zu stellen. Denn diese zu beantworten, ist zeitintensiv. Wir sind in einer Art Raserei gefangen, die uns dazu bringt, den üblichen Weg schnell abzuhetzen und niemals darüber hinaus die Fragen zu stellen, wie wir etwas anders machen könnten. So befinden wir uns im Hinblick auf ein Umlernen in einem rasenden Stillstand.
Was bräuchte es folglich für „zeitgemäßes“ Arbeiten?
Wir sollten uns Zeit nehmen für die Überwindung schädlicher Routinen. Wir brauchen Menschen, die aus der Gehetztheit ausbrechen und die Verantwortungsfragen stellen: Wie können wir regeneratives Arbeiten ermöglichen? Was ist Arbeit, die für uns und den Planeten gesünder ist? Welche Arbeit gibt uns mehr Sinn? Was sind bessere Routinen? Sollten wir beispielsweise nicht eher Leistung nach Ergebnis, statt nach Zeiteinheiten abrechnen?
... und warum teilen wir uns die Zeit nicht einfach besser ein?
Weil wir in einem mechanistischem Denken verfangen sind. Es gibt die Rhythmik von Maschinen und die Rhythmik der Natur. Als biologische Wesen müsste unser Zeitverständnis ein zyklisches sein, ein Auf und Ab, wie die Jahreszeiten, Tag und Nacht, Ebbe und Flut, Performen und Ausruhen – wie auch das eben nur zeitweise Wachsen und dann wieder Weichen von Ökosystemen. Unser Arbeiten folgt aber einem linearen, maschinellen Zeitverständnis. Mit jeder Sekunde kommt demnach eine Sekunde dazu. Nach dieser Logik muss jedes Wachstum ins Unendliche gehen. Wir sind als Kulturwesen Anhänger einer linearen „Zeit ist Geld“- Logik, und zugleich bleiben wir doch auch Naturwesen. Damit sind wir auf Regeneration angewiesen, müssen also ein zyklisches Zeitverständnis respektieren. Genauso wie planetare Ressourcen übrigens auch auf Regeneration angewiesen sind.
„Bei der Frage, wann Menschen in ihrem Beruf das letzte Mal echte Freude erlebt haben, hat die Hospitality gegenüber vielen Branchen einen Heimvorteil. “
Was bedeuten diese Überlegungen für die Hospitality Branche als People Business?
Die Hospitality Branche ist in der Dimension des Arbeitsmarktes durch Fachkräftemangel und in der Dimension des Absatzmarktes durch die immer deutlicher erkennbaren Folgen von Massentourismus herausgefordert. Was die Hospitality im Vergleich zu anderen Branchen aber auszeichnet, ist, dass sie eine einzigartig menschliche Resonanz (Widerhall, Reaktion, Anm. d. Red.) herstellen kann: Zu Orten, zum Genuss, zu sich selbst. Kaum eine Branche ist deshalb so sehr darauf angewiesen, dass sich diese Resonanz auch einstellt und sie eben nicht im Sog des „Immer mehr und immer schneller“ untergeht. In den Projekten, die ich mit Unternehmen aus der Hospitality machen durfte, wurde mir klar, wie wichtig es den Menschen ist, anderen zu solchen wertvollen Erfahrungen zu verhelfen und wie hoch die eigenen Qualitätsansprüche sind. Die Arbeitsforschung zeigt: Seinen eigenen Ansprüchen – nicht der Gäste, nicht Vorgesetzten, sondern den eigenen – nicht gerecht werden zu können, ist einer der stärksten Indikatoren für eine baldige Kündigung; wo wir wieder beim Personalthema sind.
Was ist vor diesem Hintergrund ein Indikator für zufriedene Mitarbeitende?
Wenn ich mich mit Firmen für eine besseren Zukunft der Arbeit engagiere, interessieren mich keine Tischtennisplatten oder Obstkörbe. Ich möchte wissen, wann Menschen dort das letzte Mal echte Freude bei der Arbeit erlebt haben. Hier hat die Hospitality gegenüber vielen Branchen einen Heimvorteil. Und wenn wir an etwas wirklich Freude haben, dann stets auch, weil es im moralischen Sinne gut ist.
„Das Produkt der Hospitality ist die Besinnung auf das eigentlich Wichtige: Begegnung, Regeneration, Lebensqualität. Mit dieser Unmittelbarkeit kann sie Vorreiter sein für andere Branchen – und ist es schon heute.“
Wie kann die Hospitality im Gesamtkonstrukt noch zum Vorreiter werden?
Zukunftsfähige Unternehmen müssen sich als in die ökologische und menschliche Natur eingebettet verstehen. Das ist einem Kunden aus der Stahlproduktion oder dem FinTech-Bereich viel schwerer zu vermitteln, als der Hospitality Branche, die diese Einbettung in ihrer DNA hat. Ihr Produkt ist letztlich die Besinnung auf das eigentlich Wichtige: Begegnungen, Regeneration, Lebensqualität. Mit dieser Unmittelbarkeit kann die Hospitality Vorreiter sein für andere Branchen – und ist es schon heute. Denn die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungleich verteilt.
Abschließend: Welche Superkraft hätten Sie gern und was würden Sie damit ändern?
Meine Superkraft wäre es, alle Sprachen der Welt sprechen zu können. Ich habe erfahren dürfen, wie im Nahen Osten ein paar Schnipsel Persisch, Arabisch oder Kurdisch im wörtlichen Sinne Türen geöffnet haben. Eine andere Sprache sprechen, bedeutet mit einem anderen Kopf zu denken, eine Sprache für geteilte Erfahrungen zu haben und verbunden zu sein. Damit würde ich die Welt mehr zusammenbringen. Zumindest meine kleine Superheldenwelt.

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