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Leinen los

„Es sind nicht immer die Starken stark in jeder Situation.“ Das sagt Segelweltmeister Tim Kröger. Ein Gespräch über das Meer als Lehrmeister für das (Arbeits-) Leben und über Teambuilding-Learnings aus dem Segelsport.

Geerdet durch ein Leben auf dem Meer: Weltumsegler und Teambuilder Tim Kröger. (Foto: Jens Anders/Nord Stream AG)

Auszug aus unserer elevatrEdition 1 – Bewegung, Artikelveröffentlichung März 2022

Tim Kröger, Sie sagen, der Segelsport sei die beste Lebensschule – inwiefern?

Tim Kröger: Auf einem Boot lebt man mit anderen Menschen in einem Mikrokosmos, man muss mit ihnen klarkommen, und will – beim Regattasegeln – gemeinsam Erfolg haben. Sich aufeinander abzustimmen, in einer Gruppe die richtigen Entscheidungen zu fällen, das ist herausfordernd und lehrreich, weil man sich immer arrangieren muss. Und mit den Unwägbarkeiten der See, des Wetters und des Windes klarkommen muss. Man hat ständig mit sich ändernden Situationen zu tun, auf die man dann reagieren muss. Das schult sehr gut fürs Leben.

Zweimal sind Sie beim Whitbread Round the World Race (Vorgänger des heutigen The Ocean Race, Anm. d. Red.) um die Welt gesegelt – welche Erkenntnisse haben Sie daraus gezogen? Was haben Sie auf den Meeren gelernt?

Segeln ist sehr vielschichtig, und das, was wir da machen, ist extrem, weil wir den kürzesten Weg um die Welt wählen. In der Retrospektive hat es mir sehr viel gebracht, kritische Situationen – manchmal auch lebensbedrohliche – mit dem Team auf dem Boot zu meistern. Weil alle so professionell und diszipliniert ihre Jobs gemacht haben, ist es gut gegangen. Das Vertrauen zu den anderen und das intensive miteinander Arbeiten unter haarsträubenden Bedingungen, das nimmt man mit an Land. Die Erfahrung, dass alles, über die eigenen Grenzen hinaus, machbar ist. Das stählt und alle weiteren Herausforderungen danach sind „a walk in the park“.

Sie sind mit 40 Knoten Geschwindigkeit über die Weltmeere „gerast“. Ist auf See – und im Arbeitsleben – für Sie Geschwindigkeit oder Präzision wichtiger?

Definitiv eine Mischung aus beidem. Hohe Geschwindigkeit geht ohne Präzision nicht. Wenn ich nicht korrekt und präzise arbeite, und nicht alle Handgriffe sitzen, kann ich auch nicht besonders schnell sein. Im Segelsport gilt aber wie anderswo im Hochleistungssport: Speed ist King. Der wiederum ist abhängig von Präzision.

Welche Eigenschaften erachten Sie als wesentlich, damit ein Team auf See gut in Bewegung kommt?

Das Wichtigste ist eine gemeinsame Mission und Vision, auf die sich alle einlassen können und wollen. Was wollen wir erreichen – und wie? Dann: Transparenz, damit jeder weiß, was von ihm erwartet wird und wohin die Reise geht. Und natürlich eine klare und offene Kommunikation. Außerdem Disziplin, die von jedem Einzelnen auch eingefordert wird, und die unmittelbar mit klaren Spielregeln zusammenhängt. Die müssen für alle klar sein, dann kann sich jeder in einem Team wiederfinden, das funktioniert.

Wie setzen Sie die Segel für einen guten Teamspirit?

Ich arbeite immer sehr intensiv daran, eine Teamkultur zu entwickeln, in der alle mit offenem Visier miteinander umgehen, also eine große Transparenz herrscht. Dass jeder sich einbringen kann, eine intensive Teilhabe an den Prozessen und Entscheidungen hat. Die Intention dahinter ist auch, dass, wenn etwas schief geht, niemand sich hinstellt und sagt, das habe ich ja gleich gedacht. So etwas ist Gift für ein Team. Jeder darf sich einbringen, und wer es nicht tut, hat die Entscheidungen, die gefällt werden, mitzutragen. Wenn ich manchmal als einziger Profi an Bord bin, ist es meine Aufgabe, die engagierten Amateure auf ein höheres Level zu heben. Was sie mitbringen auszuformen, und zu helfen, dass alle besser werden. Auf anderen Schiffen sind nur Profis – aber da wird exakt genauso gearbeitet, mit einer kommunikativen Kultur. Weil alle getrieben sind, das Gesamtprojekt nach vorn zu bringen. Für Egotrips ist da kein Platz.

Aber nur einer kann der Kapitän sein, oder?

Natürlich – auf einem Seeschiff muss einer die Entscheidung treffen. Beispielsweise die: Jetzt geht es in die Rettungsinsel. Aber beim Regattasegeln sind sehr viele Spezialisten auf einem Boot: Die einen trimmen die Segel, die anderen machen handwerkliche Arbeit – alle sind Spezialisten, die wie ein Uhrwerk funktionieren, mit großen und kleinen Zahnrädern. Manchmal denkt man vielleicht, die großen Zahnräder sind besonders wichtig, aber ohne die kleinen können die auch nicht arbeiten. Einer allein kann’s nicht stemmen. Je besser die einzelnen Leute in ihrem Job sind, desto reibungsloser funktioniert es.

Passiv zu sein kann auf dem Meer den Untergang bedeuten. Lässt sich dieses Bild auch auf die Arbeitswelt an Land übertragen?

Man muss immer am Ball bleiben. Und sich neuen Gegebenheiten, die sich ja auch im Arbeitsleben permanent ändern, immer wieder neu anpassen. Wer Erfolg haben will, muss dranbleiben. Und wer Erfüllung aus seiner Arbeit ziehen will, auch. Es funktioniert nicht, wenn man sich gehen und Dinge schleifen lässt. Jeder Einzelne muss in sich hinein hören und sich einen Ruck geben, aktiv zu bleiben – das ist nicht immer einfach. In einem guten Team stützen sich die Leute gegenseitig und bringen einander weiter. Es sind nicht immer die Starken stark in jeder Situation. Die haben auch mal einen schwachen Moment – in einer Gruppe mit guter Dynamik wird so etwas dann kompensiert.

Was konnten Sie in puncto Leadership noch beim Segeln lernen?

Ich bin ein Freund von flachen Hierarchien, wo sich jeder einbringt, und es reibungslos funktioniert, weil alle auf ihren Job fokussiert sind und ihn vernünftig machen. Zu gutem Leadership gehört auch eine gute Fehlerkultur. Wenn ein Fehler passiert, dann darf jemand die Hand heben und sagen, das habe ich verbockt. Idealerweise wird die Person dann korrekt abgeholt und gemeinsam analysiert, warum der Fehler passiert ist, und wie er beim nächsten Mal vermieden werden kann. Ohne Kopf-Tätscheln, aber auch ohne, dass jemand ans Kreuz geschlagen wird. Jeder muss wissen, dass Fehler einen großen Einfluss auf das Ergebnis des gesamten Teams haben, deshalb darf man nicht fahrlässig werden. Beim Segeln gibt es vor jedem Regattatag ein vernünftiges Briefing, damit jeder weiß, was auf ihn oder sie zukommt. Und die Leute sind angehalten, sich auch permanent eigenständig zu informieren. Am Ende eines Regattatags gibt es ein intensives Debriefing: Was haben wir gut gemacht, und was hätten wir noch besser machen können? Wo können wir am nächsten Tag wieder ansetzen? Für mich gehört zu gutem Leadership, dass Leute immer wieder aufgefordert werden, an ihre Grenzen zu gehen und besser zu werden.

Wie motivieren Sie Ihre Crew?

Am liebsten mit Zuckerbrot und Peitsche – immer mit einem Augenzwinkern. Wenn Leute Mist bauen, muss man das schon sagen und ihnen zeigen, wie man es besser macht. Die Einflüsse beim Segeln sind so groß, dass manche reizüberflutet sind und kleinteilig denken. Das liegt oft am Erfahrungshorizont, man muss Leuten Sicherheit geben, indem man sie lobt und sagt, was sie gut machen und dann bestärkt, das nächsthöhere Schwierigkeitslevel auszuprobieren – wenn man so führt, gibt man Sicherheit und ermöglicht Erfolgserlebnisse.

Wo sehen Sie weitere Parallelen zwischen Teamwork an Bord und in einem Unternehmen?

Darin, dass man teilweise in kleinen Projektgruppen arbeitet, die vergleichbar sind. Viele Leute in einem Unternehmen arbeiten auch unter hohem Druck und Stress – da muss auch alles funktionieren und ineinandergreifen. Und die Leute müssen sich immer wieder auf das fokussieren, was im gegenwärtigen Moment wichtig ist – und, was im nächsten Schritt wichtig ist. Druck kann man abfedern, wenn alle Hand in Hand und gut miteinander verzahnt arbeiten. Diese Aspekte sind auf beiden Seiten wichtig. Außerdem, dass jeder eine Teilhabe hat, eingeladen ist, etwas in das Team einzubringen – ob das Ideen, Gedanken, oder das Abwickeln einzelner Aufgaben sind.

Wie gehen Sie und Ihr Team mit Wettbewerbssituationen um? Haben Sie die Konkurrenz bei einer Regatta immer im Blick, oder konzentrieren Sie sich auf die eigene Leistung?

Man hat permanent einen 360 Grad-Rundumblick. Zuerst auf das eigene Boot, wenn das gut gesegelt wird, dann ist man in der Lage die Konkurrenz zu schlagen – aber dafür muss man sie auch permanent im Blick haben. Es gibt Situationen, in denen die anderen etwas besser machen – zum Beispiel wenn der Wind dreht ... Dann muss man eine Schippe drauflegen und das bedeutet, dranbleiben am Gegner und sich die Chance zum Break erhalten. Das geht nur, wenn man bei Rückschlägen weiter Vollgas gibt und sich nicht mit Enttäuschungen aufhält und aufgibt. Die Regatta ist erst zu Ende, wenn alle durchs Ziel gegangen sind. Das trennt dann auch die Spreu vom Weizen – Leute die kontinuierlich dran bleiben und nicht auf halber Strecke die Flinte ins Korn werfen. Das ist an Land das Gleiche – negative Erfahrungen kommen immer wieder auf einen zu, man muss trotzdem dranbleiben.

„Living diversity!“ – Eine Crew setzt sich oft aus Menschen unterschiedlicher Nationalitäten zusammen. Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich gemacht?

Es ist sehr interessant, wenn man in internationalen Teams segelt. Die Ansätze, Probleme zu lösen, können schon sehr unterschiedlich sein. Ich leite das Regattamanagement für ein Boot mit 40 Menschen 14 verschiedener Nationalitäten – das ist ein Sammelsurium. Da alle schon immer international segeln, verschwimmen gewisse Denkansätze – und idealerweise definiert man die einzelnen guten Ideen als Stärken in einem solchen Team und kanalisiert sie so – das ist der Trick an der Sache und auch das Schöne daran. Dass man die Leute zu einer völlig neuen Melange formt, die dann in der Lage ist, über den Tellerrand hinauszuschauen, weil die Stärken verschiedener Denkansätze in einem Team vereint werden.

„Wer Erfolg haben will, muss dranbleiben. Und wer Erfüllung aus seiner Arbeit ziehen will, auch.“

Wenn ein Hotel ein Segelboot wäre, wer würde aus Ihrer Sicht welche Aufgabe übernehmen?

Das ist spannend. Im gesamten Service-Bereich hat man natürlich die Leute, die auf einem Boot die Manöver ausführen und an den Bändern ziehen. Die müssen wie eine Einheit funktionieren und minutiös getaktet ihren Job machen – und dementsprechend fokussiert. Der Steuermann ist heutzutage auch ein Dienstleister und gehört zum Service-Konzept dazu, denn er muss sich darauf fokussieren, dass sein Boot schnell fährt – gemeinsam mit seinen Segeltrimmern – und sich dementsprechend mit ihnen abstimmen. Die sorgen für einen reibungslosen Ablauf, entsprechend den Leuten, die an der Rezeption stehen und im administrativen Bereich tätig sind. In der Lobby wird dafür gesorgt, dass sich die Gäste schnell bewegen können. Und wenn man das Management nimmt, das im Büro sitzt, sind das die Taktiker und Strategen, die sozusagen den Kurs vorgeben. Taktisch kurzfristig – und strategisch langfristig. Wo wollen wir eigentlich hin? Und wie wollen wir generell mit den Gästen in unserem Hotel umgehen? So könnte man das umreißen. Alle Bereiche sind möglichst verzahnt, das ganze Schiff muss schnellstmöglich vorankommen, die Gäste bestmöglich behandelt, das Hotel bestmöglich geführt werden.

Wie hat sich Ihre Perspektive auf die Welt verändert, nachdem Sie sie umsegelt haben?

Es erdet ziemlich – und der Respekt vor der Weite des Meeres und den Distanzen verändert und vergrößert sich. Im Südpolarmeer segelt man relativ nah am Point Nemo vorbei, zwischen Neuseeland und Kap Horn. Das ist der Punkt auf der Erde, der am weitesten weg ist von jedweder Zivilisation. Wenn man da mit seinem kleinen Bötchen unterwegs ist, dann wird einem klar, dass man nur sich und das Boot hat, und jede Hilfe von außen ganz weit weg ist. Aber man entwickelt auch eine gewisse Stoik, weil man dieses Boot pusht, weil man Gegner in der Nähe hat, gegen die man gewinnen will, da gibt man einfach Vollgas und ist sehr fokussiert. Und hat wenig Zeit zu genießen. Wenn die Lust und der Druck abfallen, erst dann kann man genießen und denkt: Wow, das war eine ziemliche Herausforderung und da haben wir aber wirklich etwas Geiles hingelegt. Das macht einen am Ende auch stolz, persönlich und als Team – das durch so eine Erfahrung sehr zusammenwächst.

Interview (für elevatrEdition 1): Katharina Pütter

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