elevatr: Frau Marschall, spätestens seit dem neuen Klimaschutzgesetz sollte allen bewusst sein, dass wir uns mehr anstrengen müssen, um die Klimaziele zu erreichen. Was bedeutet dies für das weltweite Reisen?
Helena Marschall: Um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten und um die Klimakrise möglichst aufzuhalten, müssen wir Emissionen drastisch und radikal reduzieren. Die Tourismusindustrie ist aber mit sehr hohen Emissionen verknüpft. Die Menschen fliegen, nehmen Kreuzfahrtschiffe. Vor Ort verbrauchen sie dann Energie in Hotels und Restaurants. Wenn wir eine lebenswerte Zukunft für meine Generation haben wollen, müssen wir das krass reduzieren. Tourismus muss in Zukunft anders aussehen.
Wie denn?
Wir werden weniger fliegen, wir werden nicht mehr so weit reisen. Und nicht mehr alle an die gleichen Orte. Wir sehen ja, wie zerstörerisch es für Städte sein kann, wenn zum Beispiel in Venedig die Kreuzfahrtschiffe in die Lagune fahren. Venedig hat jetzt ein Verbot erlassen, da müssen mehrere Städte nachziehen. Wir werden stattdessen mit dem Zug, mit dem vollen Auto oder dem Bus in den Urlaub fahren. Oder dem Fahrrad.
Welche Auswirkungen hätte ein Verzicht auf Reisen?
Ich glaube nicht, dass es der komplette Verzicht sein muss. Grundsätzlich aber reduzieren wir damit unseren C02-Ausstoß. Gleichzeitig können wir die schönen Orte in unserer Nähe entdecken. Dafür müssen wir nicht unbedingt einmal um die Welt fliegen.
„Die großen Reiseunternehmen müssen ihre Konzepte anpassen, nicht die kleinen Hotels.“
Wie muss sich der Tourismus verändern, damit reisen moralisch vertretbar wird?
Das ist genau das Problem: Als Einzelperson kann ich mich nicht moralisch perfekt verhalten. Innerhalb der Systeme, in denen wir leben, geht das nicht. Ich kann mich anstrengen wie ich will, trotzdem werde ich Emissionen verursachen. Auch wenn ich den ganzen Tag zuhause sitze und nichts tue. Deswegen bringt es relativ wenig, die einzelne Konsumentin, den einzelnen Konsumenten in die Pflicht zu nehmen. Es ist die Reiseindustrie, die sich umstellen muss. Der politische Umgang damit. Wir müssen unsere gesamte Mobilität umstellen.
Was bedeutet das konkret?
Wir brauchen eine allgemeine Mobilitätswende. Mehr öffentliche Nahverkehrsmittel, mehr Fahrrad, weniger Autos auf den Straßen. Wir müssen aufhören, unsere Fernstraßen auszubauen.
Wie werden Reisen in dieser Zukunft aussehen? Was wird sich verändern müssen?
Wir werden eine Reise wieder mehr wertschätzen müssen. Vielleicht kann man nicht mehr viermal pro Jahr verreisen, sondern eher einmal und dafür für einen längeren Zeitraum. Wir werden mehr mit dem Zug oder dem Bus verreisen. Und auch näher in unserer Umgebung.
Kann nachhaltiges Reisen und Ökotourismus ein Weg aus der Klimakrise sein?
Grundsätzlich wird da leider häufig Greenwashing betrieben, es steht mehr drauf als dann drin ist. Es gibt natürlich auch ernsthafte Bemühungen, Tourismus und Reisen anders zu denken und da auch Konzepte zu entwickeln. Gleichzeitig ist das wenig systemisch gedacht. Es sind die großen Reiseunternehmen, die ihre Konzepte anpassen müssen, nicht die kleinen Hotels.
„Für einen nachhaltigeren Tourismus braucht es Unterstützung von der Politik für familiengeführte Hotels.“
Was bedeuten Ihre Forderungen für den Inlandstourismus?
Wir werden mehr innerhalb Deutschlands beziehungsweise Europas unterwegs sein. Aber auch dann kann es so etwas wie Overtourism geben. Wünschenswert wäre, wenn wir diesen Übergang zum lokalen Tourismus möglichst nachhaltig gestalten könnten.
Können Hotels etwas beitragen zum Wandel im Tourismus?
Ein Gebäude zu betreiben, zu heizen, zu kühlen, ist ein immenser Energieaufwand. Ein Teil des Umbaus in der Tourismusbranche, den wir fordern, bedeutet auch, dass familiengeführte Hotels Unterstützung von der Politik erhalten. Damit können sie ihren Betrieb energieeffizient umbauen, zum Beispiel Solarzellen aufs Dach.
Wenn niemand moralisch unbeschwert Urlaub machen kann: Wie verreisen Sie?
Meine letzte größere Reise war zur Klimakonferenz in Madrid im Dezember 2019. Da bin ich von Frankfurt nach Madrid mit dem Zug gefahren. Einfach ist das aber nicht, es gibt nicht so viele Vergleichsportale wie fürs Fliegen. Teurer war es leider auch.
Fabian Müller