»In meinen Augen fehlen uns Orte der Begegnung, des Austauschs, der lebendigen Debattenkultur.«
Rotes Ziegelmauerwerk – 25 Meter hoch und 45 Meter breit: Zwölf Jahre lang stand das ehemalige Heizkraftwerk an der Rupert-Bodner-Straße im Münchner Westen leer, seit einigen Monaten entsteht auf dem Areal das Bergson Kunstkraftwerk. Selbst in nüchternen Zahlen betrachtet ist das Bergson – Eröffnung im Januar 2024 – ein Projekt der Superlative: 20.000 Quadratmeter Fläche, Platz für 1.700 Besucher diverser Kultur-Veranstaltungen sowie Kunst-Ausstellungen, fünf Gastronomien, mehr als 70 Millionen Euro Invest. Bauherren sind die Brüder Christian und Michael Amberger, Inhaber des familiengeführten Unternehmens Allguth, das seit 1958 Tankstellen und Waschstraßen in Bayern betreibt.
elevatr: Christian Amberger, Michael Amberger, Allguth gehörte zu den ersten, die Tankstellen neu interpretiert und zu Servicecentern ausgebaut haben. Wie definieren Sie Pioniergeist?
Christian Amberger: Pioniergeist ist für uns ein Zusammenspiel aus Kreativität, Neugier, Lust und Mut. Neue Wege zu bestreiten – nicht aus der Not heraus, sondern aus der Begeisterung, sich ausprobieren zu wollen und in unbekanntes Terrain vorzustoßen.
Wie entstand die Idee für das Bergson?
Michael Amberger: Vor rund zwanzig Jahren habe ich mich in die Immobilie verliebt. Im Laufe der Zeit gab es unterschiedliche Ideen, das Areal in ein sinnreiches Nutzungsszenario zu überführen, an dem möglichst viele Menschen teilhaben können. In meinen Augen fehlen uns Orte der Begegnung, des Austauschs, der lebendigen Debattenkultur. Orte, die uns inspirieren, unterhalten, entzünden, die bleibende Erinnerungen schaffen. Das war der Grundmotor. Darüber hinaus gab es in unserer Familie schon immer eine Leidenschaft für die Künste und die Kultur.
Welche Werte beeinflussen Ihre Herangehensweise an dieses Großprojekt?
Christian Amberger: Wir verbinden regionale Ressourcen mit einem internationalen Anspruch. Unsere Mitarbeitenden eint dabei ein fast familiärer Zusammenhalt: Einer steht für den anderen ein, wertschätzt das Tun des anderen, hat immer auch Tätigkeiten über seinen Kernbereich hinaus im Blick. So gelingt es uns, mit einem vergleichsweise kleinen Team große Herausforderungen zu bewältigen.
Eine Herausforderung war, dass geschützte Tierarten wie die Mopsfledermaus in Ihrem Gebäude wohnen. Was macht für Sie erfolgreiches Mindset als Unternehmer aus?
Michael Amberger: Zentral sind eine klare Vision vor Augen sowie Flexibilität und Kreativität, um mit herausfordernden Situationen lustvoll und zielführend umzugehen. Der Mopsfledermaus haben wir eine rund 60 Quadratmeter große Suite mit Pool und Frischluftzufuhr gebaut – klar schmerzt das erstmal. Aber: Nicht nur die Mopsfledermaus hat etwas davon, sondern auch als Marketing-Investition hat sich die Entscheidung ausgezahlt. Beispielsweise ist „Mopsi“ die Fledermaus das Maskottchen eines bereits laufenden Schulprojekts, mit dem wir Schülern in Aubing das Thema „Schall“ nahebringen.
»Das kulturelle Erbe wird erhalten, indem wir etwas Neues erschaffen.«
Aus der 25 Meter hohen ehemaligen Kesselhalle wird aktuell das offene Atrium. Was zählt mehr – erhalten oder erschaffen?
Christian Amberger: Die Kesselhalle wird erhalten, indem wir Neues schaffen. Denn: Es hätte beispielsweise auch die Möglichkeit gegeben, die Location als Bürogebäude zu nutzen. Das hätte aber bedeutet, dass einerseits nur die Mitarbeitenden unseres Unternehmens und damit nur ein kleiner Kreis an Menschen Zugang gehabt hätte. Zudem hätten Stockwerke eingezogen werden müssen und damit wäre das einmalige Raumgefühl dahin gewesen. Unser offenes Atrium dagegen erhält die Atmosphäre mit Wow-Effekt und wird zur Agora, wo sich Menschen begegnen und austauschen können; zum bespielten und mit Leben gefüllten Ort. Auf diese Weise wird das „Cultural Heritage“ bewahrt, zugänglich gemacht und nachhaltig belebt.
Event, Gastro, Kunst & Kultur – alles ohne „gefühlte elitäre Barrieren“: Was braucht es dafür?
Michael Amberger: Der niederschwellige Zugang in der Kultur basiert auf Faktoren wie der Länge einer Veranstaltung, der thematischen Greifbarkeit, auf dramaturgischen Elementen wie Moderation oder Lichteinsatz und nicht zuletzt darauf, wie man den Menschen das jeweilige Format schon in der Beschreibung nahebringt. Dann ist im übertragenen Sinne natürlich auch „Hospitality“ gefragt, die Gäste sollen sich bei uns wohlfühlen. Wir haben dafür beispielsweise einen Concierge im Eingangsbereich, der die Menschen begrüßt und bei Bedarf Fragen beantwortet. Die Künstler sollen bei uns nach den Auftritten greifbar, beim Drink hinterher ansprechbar sein, zur Bergson-Familie gehören, genau wie das Publikum. Wenn sich dieser Spirit im Team und bei den Gästen durchsetzt, machen wir uns um „elitäre Barrieren“ keine Sorgen.
Muss man dafür auch an monetären Stellschrauben drehen?
Christian Amberger: Die Galerie mit ihren rund 1.800 Quadratmetern wird kostenfrei zugänglich sein; dort sollen sich auch Kunstwerke befinden, die sich Normalverdiener leisten können. Die Ticketpreise für die Konzerte gestalten wir bewusst moderat. Unser Biergarten ist automatisch ein niederschwelliger Zugang, ideal als Basis auch für einen Erstkontakt mit der Kultur.
Welche Klientel wollen Sie ansprechen?
Michael Amberger: Wir wollen uns nicht durch eine klar definierte Zielgruppe einengen. Generell wird sich das Mindset des Projekts tendenziell an ein junges Publikum richten. Jung hat in diesem Zusammenhang für uns aber nichts mit dem biologischen Alter zu tun, sondern meint eher eine Haltung: neugierig, Lust auf Innovation und die Erweiterung des Horizonts.
Könnten Sie sich Synergien mit der Hotellerie vorstellen?
Christian Amberger: Wir suchen sie aktiv. Nicht nur als Service für unsere B2B-Gäste, sondern auch für unsere Künstler, sind wir sehr an Synergien mit der umliegenden Hotellerie interessiert.
Last but not least: Wie setzen Sie das Thema Nachhaltigkeit beim Ausbau eines 25 Meter hohen und denkmalgeschützten Gebäudes um?
Michael Amberger: Locations im Bereich der Freizeitaktivitäten sind in der Regel nicht klimaneutral zu bespielen, ob Fußballstadion, Freizeitpark oder Opernhaus. Insofern ist ein verantwortungsvoller Energieverbrauch bei uns ein zentrales Thema. Wir begegnen dem beispielsweise mit einer Luft-Wärmepumpe: Gekühlte beziehungsweise beheizte Luft wird über sogenannte Weitwurfdüsen im Raum verteilt. So wird die Raumluft umgewälzt und klimatische Bedingungen im Raum, etwa durch Körperwärme der Besucher, genutzt, aufbereitet und zurückgeführt. Dort, wo sich ökologische Baustoffe sinnvoll einsetzen lassen, tun wir es. So fällt – sehr langfristig gesehen – kein unnötiger Sondermüll bei der Entsorgung von Baumaterialien an.
Interview: Verena Usleber
Die Bergson-Baustelle im Drohnenflug – watch now!
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Das Bergson Kunstkraftwerk auf dem Gelände des ehemaligen Heizkraftwerks der Deutschen Bahn soll im Januar 2024 eröffnen. 20.000 Quadratmeter Fläche – Bestandsgebäude und Neubau – sollen mit Event-Formaten, Kunst- und Kulturangeboten sowie Gastronomie bespielt werden. Unter anderem entstehen zahlreiche Bühnen, eine Kunstgalerie und ein Konzertsaal. Zentrale Fläche wird das offene Atrium in der 25 Meter hohen ehemaligen Kesselhalle.