elevatr: Herr Bernard, Krisen können kreative Energie freisetzen. Inwieweit gilt dies für Ihr Architekturbüro?
Erich Bernard: Ereignisse wie die Corona-Pandemie reißen uns aus dem Alltag und können dabei durchaus für positive Perspektivwechsel sorgen. Weil wir uns schon immer intensiv mit Trends für zukünftige Hotelkonzepte und -gestaltungen auseinandergesetzt haben, sind wir für die Branche so etwas wie Zukunftsprognostiker geworden.
Für welche Ihrer Prognosen wirkt die Pandemie beschleunigend?
Wir sehen zum Beispiel ein deutliches Wachstum bei der „nahen“ Ferienhotellerie – ein bereits länger anhaltender Trend, der nun aber richtig an Fahrt aufnimmt. Dieser Bereich ist im letzten Jahr der Corona-Krise vergleichsweise gut gelaufen, weil sich die Reiseziele in der näheren Umgebung, so im Umkreis von ein bis zwei Stunden der Städte, plötzlich wachsender Beliebtheit erfreuten. Zu den Reisezielen zählen neben den Hotels aber auch die Orte selbst, die gleichsam als Wohnzimmer dienen. In der Ferienhotellerie geht es längst nicht mehr nur um Bedarfsdeckung, sondern darum, dass die Hotels zu Destinationen werden, in denen auch die Gastronomie einen wichtigen Attraktor darstellt.
„Der Anspruch an Ferienhotellerie wird künftig sein, dass das Haus als ganze Welt für sich erscheint.“
Welche neuen Reisesehnsüchte verbinden Sie damit?
In der Regel werden die Sehnsüchte und Prinzipien von der Stadt aufs Land übertragen – bei uns in Österreich kommen dabei immer auch die Alpen mit ins Spiel. In solchen Hotels gibt es oft ein sehr hohes gastronomisches Niveau – das Essen besteht meist aus hochwertigen regionalen Zutaten und häufig gibt es sogar mehrere Restaurants. Hinzu kommen architektonische Besonderheiten: Während man in der Stadt bei schlechtem Wetter ins Museum gehen kann, brauchen diese Landhotels eine Vielzahl an Angeboten. Der Anspruch an Ferienhotellerie wird künftig sein, dass das Haus als ganze Welt für sich erscheint, ganz nach dem Prinzip eines ehrwürdigen Grand Hotels. Nicht jeder will auf dem Land zehn Stunden täglich Mountainbiken.
Schließt sich da ein Kreis, wenn die Menschen – wie einst vor 100 Jahren – wieder gern Orte wie Bad Gastein besuchen?
In gewisser Weise, ja. Wenn man den Zauberberg von Thomas Mann liest, dann begegnet man einer Geschichte, in denen Menschen aus der Stadt aufs Land fahren, um sich dort in Hotels mit Menschen aus der Stadt zu treffen. Doch anders als in der Stadt verfügen diese Häuser über einen besonderen Spirit. Genau dieser Spirit erlebt heute eindeutig ein Comeback. Irgendwann wird es langweilig, wenn man spielend leicht in der Welt herumkommen kann, also bleibt man zur Abwechslung einfach in der Nähe. Die Kultivierung dieses „Nahen“ mündete in Südtirol schon vor Jahren in einer exquisiten Hotelkultur, die die ausländischen Reisenden früher entdeckt haben als diejenigen, die tatsächlich in der Nähe sind.
Sie planen aktuell das Hotelensemble Straubingerplatz in Bad Gastein. Was lässt sich daraus für die Zukunft des Hotelbaus ableiten?
Eines der Hauptthemen ist es, möglichst viel von dem zu verwenden, was an Bausubstanz und Historie schon da ist. Wie gelingt es beispielsweise, die Spuren der Vergangenheit nicht zu eliminieren, sondern einzubinden? Wie lässt sich die Identität des Standortes schärfen? Und natürlich stellen wir uns auch hier die Frage, wie wir hybride öffentliche Bereiche schaffen können, in denen die Lobby, die Gastronomie- und die Co-Working-Bereiche mehr als nur sie selbst sind. Statt klar separierter Zonen wollen wir fließende atmosphärische Übergänge, sodass die Lobby auch Frühstücksbereich und der Frühstücksbereich auch Co-Working-Bereich oder Bar sein können. Diese Mischung schafft Ausweichmöglichkeiten, die die räumliche Flexibilität erhöhen.
„Arbeiten mit den Schichten der Vergangenheit“, so das Credo von BWM Architekten für die Neugestaltung des Straubingerplatzes in Bad Gastein. Das Gebäudetrio soll 2023 unter der Flagge der Travel Charme Hotels & Resorts eröffnen.
Stichwort Frühstück. Bei diesem Thema wurde Hotelbetreibern in den letzten Monaten viel Kreativität abverlangt. Wie sieht das Frühstücksbüffet der Zukunft aus?
Das Frühstück komplett zu servieren ist finanziell nicht leistbar. Wir sehen die Lösung in einer Art Feinkostladen, der die Vorteile des Büffets bietet, aber nicht seine Nachteile. Er verfügt über mehrere Stationen, an denen die Lebensmittel und Speisen zelebriert und/oder frisch zubereitet werden. Die Gäste haben nach wie vor das ganze Angebot im Blick, doch keiner kann das Essen anfassen, und es gibt zudem etwas mehr Service. Manches wird auch zum Tisch gebracht – zum Beispiel vom Personal, das sonst abserviert. Dies wird aber mit einer Erhöhung der Personalqualifikation und mit baulichen und organisatorischen Veränderungen einhergehen, weil offene oder halboffene Show-Küchen die Verlagerung von Arbeitsplätzen aus der Küche ans Buffet bedeuten. Ein solches neuartiges Frühstückskonzept setzen wir aktuell zum Beispiel für das Hotel Gilbert in Wien.
Stichwort öffentliche Bereiche: Haben Sie hier ein konkretes Beispiel aus der Stadthotellerie, wie diese künftig aussehen?
Für das Vienna House R.evo-Konzept in München, in dem Gäste auch mehrere Monate bleiben können, werden wir eine zweigeschossige Lobby mit Rezeption, Lounge, Bar, Restaurant und Shop sowie einen Co-Working-Bereich realisieren, sodass Wohnen, Freizeit und Arbeit harmonisch ineinander übergehen. Die Nähe zu anderen zu suchen, liegt in der Natur des Menschen. Ist dieser soziale Austausch über längere Zeiträume blockiert, wird sich ein starker Gegentrend entwickeln. Ich bin überzeugt davon, dass der zwischenmenschliche und gesellschaftliche Austausch nach Ende der Pandemie eine völlig neue Wertschätzung erfahren wird.
Roland Pawlitschko
Orte der Begegnung: Frühstücksbereich im Wiener Hotel Gilbert (links) und Open-Space-Lobby im Vienna House R.evo in München.