Die Gesellschaft steht vor großen Aufgaben. Klimawandel, Digitalisierung, die demographische Entwicklung – all das sind Treiber der Transformation, die auch vor der Hospitality Industrie nicht Halt macht. Seit vier Jahren auf der Suche nach neuen Wegen ist Hotelier Martin Stockburger. Derzeit zählen sieben Häuser zu seinen Koncept Hotels, die zeitgeistige Namen wie Liebelei, Zum Kostbaren Blut oder Neue Horizonte tragen. Corporate und Interior Design wollen den Geschmack des progressiven Reisenden treffen. Hinter der Fassade geht es aber nicht nur um Look and Feel, sondern um die Idee einer besseren Hotellerie und um Antworten auf die drängenden Fragen der Branche.
Wie kann die Hospitality Industrie verantwortlich(er) wirtschaften?
Ein hoher einstelliger Prozentsatz der klimaschädlichen Treibhausgase wird durch den globalen Tourismus verursacht. Daran hat auch die Hotellerie einen Anteil. Lebensmittelverschwendung, Verpackungsmüll, der hohe Verbrauch an chemischen Reinigungsmitteln, nicht nachhaltig erzeugte Inneneinrichtungen belasten die Klimabilanz. Der schnelle Konsum ist aus Sicht von Martin Stockburger zu kurz gedacht. „Wir leisten uns regional und nachhaltig produzierte Zimmerausstattungen, achten bei unseren Partnern und Zulieferern auf die Lieferkette“, so der Hotelier. Nachhaltig zu handeln hat für Stockburger nicht nur eine ethische Komponente, sondern auch klare wirtschaftliche Vorteile, ist ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal und bedeutet auf lange Sicht Einsparungen, etwa wenn das Mobiliar nicht alle sieben Jahre komplett auswechselt, sondern von vorneherein auf Wertigkeit und Langlebigkeit geachtet wird.
Ökologisch verantwortlich ist die Nutzung nachhaltiger Energieträger, deren effizienter Einsatz in den Hotels sowie die Gewinnung von Strom auf den Grundstücken der Betriebe. „Lässige Hotels und klimafreundlichen Tourismus in Einklang zu bringen – das ist unsere Vision“, fasst Stockburger zusammen. Vor Investitionen scheut der Hotelbetreiber nicht zurück: In Köln und Bern wurden die Fassaden aus Energiegesichtspunkten aufwendig saniert, um die ambitionierten Ziele des emissionsarmen Hotelzimmers erreichen zu können.
Wie schafft die Hospitality Branche mehr Gerechtigkeit?
Die Koncept Hotels orientieren sich in ihrem Handeln an den 17 Zielen der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung. Sieben Schwerpunkte werden im Nachhaltigkeitsbericht der Hotelgruppe benannt: Gute Arbeit, nachhaltige Städte, nachhaltiger Konsum, Zugang zu Wasser und sauberer Energie, weniger Ungleichheiten auch zwischen den Geschlechtern. Das Schließen der Gender Pay Gap ist für den Hotelbetreiber ebenso selbstverständlich wie der barrierefreie Raum für mobilitätseingeschränkte Gäste. Vielfalt abzubilden ist auch die Idee des neuen Koncept Hotel International in Köln, das in diesem Sommer seine ersten Gäste empfängt. Der Name eine Reminiszenz an die Wirtschaftswunder-Zeit der Rheinmetropole, die erst durch die Immigranten, die zum Arbeiten herkamen, möglich wurde. In der ersten Etage öffnet Stockburger die Tür zu einem ungewöhnlichen Vierbettzimmer mit Stockbetten. Auch das hat für ihn etwas mit Gerechtigkeit zu tun: Familien „lässiges“ Reisen zu einem fairen Preis zu ermöglichen.
„Unser Ziel sind emissionsarme Hotelzimmer, auch bei der Konvertierung von Bestandsbauten.“
Was können und sollen Gäste in Zukunft erwarten?
Stockburger hat die Vision, dass in Straßen mit vielfältigem Einzelhandel, kleinen Boutiquen und kreativen Gastronomie-Angeboten individuell gestaltete Hotels Gäste begrüßen, die achtsam, respektvoll und aufmerksam reisen. „Das sind Gäste, die besondere Hotels in der Innenstadt suchen: Hotels, die nicht Standard sind. Ich glaube an die Sehnsucht der Menschen nach Authentizität“, so Stockburger. Der CO2-Fußabdruck rücke auch bei der Hotelübernachtung stärker in den Fokus. „Da kommt es auf das Gastverhalten an, statt auf Green-Plaketten“, ist er überzeugt. Auch im weiteren Ausbau der Digitalisierung sieht der Hotelier Potenzial: „Ziel ist es, in der User-Experience den Hotel-Aufenthalt mit einer Digitalanwendung noch angenehmer zu machen. In der Digital Journey arbeiten wir an einer nahtlosen PSD2-Einbettung. Die haben wir bereits, sie ist aber noch umständlich.“ Und im Payment sowie der Kommunikation gelte es, Medien und Kanäle so umzubauen, dass die Gäste zahlen und kommunizieren können, wie sie es wünschen. Und wenn es über TikTok ist.
Wie findet die Hotellerie Mitarbeitende?
„Unsere Vorstellung von guter Arbeitswelt ist, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, in denen unsere Teammitglieder ihr Leben gut leben können, zum Beispiel als Eltern. Und nicht andersrum: Dass sie das Leben mühsam um den Job herum bauen“, erklärt Stockburger. Es brauche flexible Arbeitszeitmodelle und attraktive Arbeitsangebote, damit eine junge Mutter eines unserer Hotels führen kann. Der hohe Digitalisierungsgrad, vom Check-in über die Verwaltungsprozesse, erlaubt, dass ein Koncept Hotel mit einem Host auskommt. Der beziehungsweise die sich die Arbeitszeiten frei einteilt, es vielleicht sogar in Teilzeit führt, wie derzeit etwa in Tübingen. Damit will die Hotelkette eine Lösung für gleich zwei „Pain Points“ der Branche schaffen: Den abgegrasten Arbeitsmarkt und die oftmals nicht angemessene Bezahlung. „Was wir durch die Digitalisierung einsparen, fließt an unser Team in Form einer höheren Vergütung zurück“, so Stockburger. Die Gehälter aller Hierarchiestufen liegen so über dem Branchenschnitt, einen Teil ihrer Erträge spendet die Hotelgruppe an ausgewählte gemeinnützige Organisationen.
Wichtig beim Thema HR sind Stockburger also vor allem auch Werte, Offenheit und Modernität. „Wie oft höre ich: ‚Das geht aber bei uns nicht, weil...'“, reflektiert er. Er empfiehlt Marktbegleitern eine analytische Betrachtung des eigenen Status quo: „Wie viele Menschen mit Beeinträchtigungen gibt es in unserer Gesellschaft? Wie viele Stellen vergeben wir an diese? Was ist der Gini-Koeffizient (Anmerkung der Redaktion: Der Gini-Koeffizient ist ein weit verbreitetes Maß zur Quantifizierung der relativen Konzentration einer Einkommensverteilung) im Unternehmen und wie ist er im Vergleich dazu im ganzen Land? Wie viele Frauen gibt es und wie viele sind es in der eigenen Organisation als Führungskräfte mit Assistenz und Dienstwagen?“
Sein Fazit: „Für viele Akteure könnte die Beantwortung dieser Fragen einen Fahrplan für die nächste Dekade darstellen. Und jedes Unternehmen könnte auf diese Weise seinen Teil dazu beitragen, die Welt von heute inklusiver, fairer und moderner zu machen.“
Anja Eigen