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„Je mehr Digitalisierung, desto wichtiger echte Empathie“

Megacity und Stadt der Zukunft: Die Hightech-Metropole Shenzhen in Südchina wird unsere Welt verändern, ist sich Journalist und Buchautor Frank Sieren sicher. Im elevatr-Interview erläutert der China-Experte, was wir von der Modellstadt lernen können.

Bestseller-Autor und China-Experte Frank Sieren: „Auch so wird Luxus neu definiert: Durch eine neue technologiegetriebene Transparenz.“ (Foto: Gregor Koppenburg)

In der chinesischen Millionenmetropole Shenzhen kann heute beobachtet werden, wie unsere Zukunft aussehen könnte: e-mobil, innovativ, lösungsorientiert. Der Bestseller-Autor Frank Sieren lebt seit knapp 30 Jahren in China. In seinem neuesten Buch „Shenzhen – Zukunft Made in China“ beschreibt er eine funkelnde Megacity – mit Vor-, aber auch mit Nachteilen.  Sieren ist überzeugt:  Die Stadt „wird auch unsere Welt verändern“. Im elevatr-Interview haben wir ihn gefragt, was wir von Shenzhens Innovationen lernen können.
 

elevatr: Herr Sieren, vor Kurzem ist Ihr neuer Bestseller erschienen. Es geht um Shenzhen, eine junge Megacity, die unsere Welt verändert könnte. Wie kann mitten in China eine kreative Stadt unter staatlicher Kontrolle entstehen?

Frank Sieren: Staatliche Kontrolle und Kreativität existieren in diesem Land als Widersprüche nebeneinander. Das hat vor allem mit der Geschichte Chinas zu tun. Die Regierung hat im 19. Jahrhundert einen globalen Innovationsschub, die europäische industrielle Revolution, verschlafen. Daraufhin brach die Wirtschaft ein und die Regierung verlor die politische Kontrolle über das lange prosperierende Land. Die Fehler von damals haben schmerzhafte Narben hinterlassen, die die Menschen daran erinnern, welchen Fehler sie unbedingt nie wieder begehen wollen: Einen Innovationsschub verpassen und die politische Kontrolle verlieren. Manche neuen Technologien vereinen beides in einem. Die Gesichtserkennung zum Beispiel: Das ist eine Innovation mit enormen technologischen Vorteilen, die aber gleichzeitig zur Überwachung von Menschen genutzt werden kann. Für uns ist die eine faszinierend, die andere erschreckend.

China will bei den digitalen und disruptiven Technologien weltweit führend sein. Bei ethischen Fragen der Digitalisierung unterscheidet sich das Land derweil deutlich vom deutschen Weg. Sind wir in Deutschland zu strikt mit unserer Datenschutzverordnung?

Das müssen die Menschen in jedem Land selbst entscheiden. Wichtig dabei ist: Man kann die Balance zwischen Sicherheit und Datenschutz unterschiedlich austarieren. Das ist auch innerhalb Europas so. Unter den zehn Städten mit den meisten Überwachungskameras liegen neun in China und eine in Europa, nämlich London. Die Anzahl der Kameras, die es in London braucht, um sich dort sicher zu fühlen, wären in Berlin politisch nicht durchsetzbar. Mit Kategorien „zu strikt“ oder „weniger strikt“ kommen wir also nicht weiter, wir müssen uns die Vor- und Nachteile nüchtern und sachlich anschauen und uns klar darüber sein, dass die jeweilige Bewertung auch mit der eigenen Geschichte zusammenhängt.

Wir müssen die Stärken und die Schwächen neuer Technologie nüchtern abwägen. Weder blinder Fortschrittsglaube noch Technologieverdrossenheit helfen da weiter.
Frank Sieren

Anstelle des Bruttoinlandsprodukts misst Shenzhen als erste Metropole weltweit das GEP, zu Deutsch etwa Bruttoökosystemprodukt, in dem der Natur ein wichtiger Stellenwert zugeschrieben wird. Wird sich dieser Messwert weltweit durchsetzen?

Wir haben keine andere Wahl als den Klimaschutz auszubauen, das sehen wir derzeit auch in Deutschland nach den Überschwemmungen auf besonders dramatische Weise. Dazu müssen wir die Qualität des Klimaschutzes in das eher quantitative wirtschaftliche Wachstum einbauen. Ob sich exakt der Shenzhen-Weg durchsetzen wird, der ja gemeinsam mit den Vereinten Nationen entwickelt wurde, kann ich noch nicht abschließend beurteilen, dafür ist es noch zu früh. Aber Shenzhen hat jedenfalls eine wichtige Vorbildfunktion, mit seinen über 23.000 Elektrotaxis und 16.000 Elektrobussen. Die Stadt beschleunigt den Wettbewerb um das richtige Konzept.

Was können wir von Shenzhen lernen?

Fortschritt wird in schnell wachsenden Märkten oftmals aus der Not geboren, dabei spielt das richtige Verhältnis zwischen Staat und Privatwirtschaft eine zentrale Rolle. Und darin liegt auch eines der Geheimnisse von Shenzhen. Die Stadt ist in gerade einmal 40 Jahren von Null auf 20 Millionen Einwohner gewachsen. Ihre Einwohner sind im Durschnitt 29 Jahre alt, das ist neben Mumbai in Indien das  jüngste Durchschnittsalter einer Megametropole. Mit so einer rasanten Entwicklung sind natürlich auch unheimlich viele Probleme verbunden. Die gilt es schnell zu lösen: So ist 5G entstanden, sind Unternehmen wie Huawei groß geworden. Und heute ist es bereits so, dass selbst die europäischen Wettbewerber von Huawei, Nokia oder Ericsson in Shenzhen produzieren und dort den größten Teil ihrer Forschungs- und Entwicklungsabteilungen haben. Denn dort sitzen die Spezialisten und dort geht es am schnellsten. Inzwischen hat die Region Shenzhen einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Silicon Valley: Forschung, Entwicklung mit wendigen Startups, ein führender Finanzplatz mit Hongkong, die Produktion als „Fabrik der Welt“, ein starker Staat und riesiger Markt mit jungen, Technologie-offenen Konsumenten laufen an einem Ort zusammen. Das ist weltweit einmalig.

In einem Kapitel Ihres Buches beschreiben Sie ein Restaurant, in dem Roboter nicht nur bedienen, sondern auch aufwendige traditionelle Gerichte zubereiten. Wie kann man Angestellte auf ein solches Zukunftsszenario vorbereiten?

So wie die Fastfood-Kette McDonalds den Italiener an der Ecke nicht ersetzt hat, wird auch das Roboterrestaurant nicht alle anderen Restaurants ersetzen. Das wird ein zusätzliches Angebot sein. Gäste werden vielleicht ins Roboterrestaurant gehen, weil die Gerichte dort immer die gleiche Qualität haben und, weil sie die Roboter faszinieren. Gleichzeitig werden Menschen aber weiter in ein kleines Restaurant gehen, um sich überraschen zu lassen, welche kreativen Ideen der Küchenchef auf der Tageskarte stehen hat. Im Idealfall entstehen Kombinationen daraus und Restaurantmitarbeiter haben mehr Zeit auf die Wünsche ihrer Gäste einzugehen, weil die Roboter die anstrengenden unangenehmen Arbeiten verrichten. Wir müssen die Stärken und die Schwächen neuer Technologie nüchtern abwägen. Weder blinder Fortschrittsglaube noch Technologieverdrossenheit helfen da weiter. Wichtig ist: Je früher wir uns mit den neuen Technologien beschäftigen, desto größer ist unser Spielraum sie zu gestalten. Wenn wir sie ignorieren machen das andere.

Echte Empathie kann kaum hergestellt werden, nur eine Nachahmung dessen, aber eben eine durchaus sinnvolle.
Frank Sieren

Empathie, also die Fähigkeit, Einfühlungsvermögen zu zeigen, ist etwas, das wir nicht programmieren können. Was für einen Stellenwert können daher Roboter, Spracherkennung und lernende Maschinen in der Hotellerie einnehmen?

Die These, Computer könnten nicht so etwas wie Empathie herstellen, geht mir nicht so leicht über die Lippen, wie Ihnen. Denn Roboter können aus den Erfahrungen im Umgang mit Gästen viel mehr lernen als jeder einzelne Mensch. Deswegen wissen sie unter Umständen besser, was der Kunde gerade will und das empfindet er durchaus als empathisch.
Aber Sie haben natürlich Recht, echte Empathie kann kaum hergestellt werden, nur eine Nachahmung dessen, aber eben eine durchaus sinnvolle. Dennoch kann man davon ausgehen: Je mehr Roboter herumfahren oder -laufen, je mehr die Digitalisierung um sich greift, desto wichtiger wird echte Empathie. Der direkte Umgang mit Kunden rückt in den Fokus. Im besten Fall haben Mitarbeiter aufgrund der Digitalisierung mehr Zeit und auch mehr Muße, sich empathisch mit den Kunden zu beschäftigen. Es geht dabei eben nicht darum, für oder gegen Digitalisierung zu sein, sondern darum, dieses Verhältnis auch im Hotelgewerbe immer neu auszutarieren, im Sinne eines zufriedenen Kunden.

Auch das Thema Nachhaltigkeit wird im Hotelgewerbe immer wichtiger. Wie sollte sich die Hotellerie hier verhalten?

Das Hotel ist ein Lebensraum dessen Nachhaltigkeit man stetig verbessern muss, weil den Gästen das immer wichtiger wird. Sie wollen künftig wissen, woher der Teppich stammt, auf dem sie laufen und mit was für einem Lack die Möbel gestrichen wurden. Sie wollen den Sauerstoffgehalt der Luft wissen und darüber informiert werden, wie oft die Luft in ihrem Zimmer ausgetauscht wird und wo das Wasser herkommt. Sie werden empfindlicher für Lärm. Die Herkunft des Essens ist ihnen schon längst wichtig. Und die Menschen werden in der Lage sein, all dies womöglich mit ihrem Smartphone zu messen, zum Beispiel über QR-Codes. Auch so wird Luxus neu definiert: Durch eine neue technologiegetriebene Transparenz. Dafür werden immer mehr Kunden bereit sein, Geld zu bezahlen. Denn das gibt ihnen ein gutes Gefühl.

Isabella Owen/Nina Fiolka